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Mehr Rassismus in der Lokalpresse..

Entsteht bald mehr Rassismus durch die Lokalpresse?
Foto der gedruckten Dewezet vom 2. September 2014
Foto der gedruckten Dewezet vom 2. September 2014

Meine Kritik über folgenden Artikel der Deister- und Weser Zeitung vom 02.09.2014 benötigt eine kleine Einleitung, die ich auch so von der Zeitung erhofft hätte.

In der niedersächsischen Stadt Hameln ist der Abzug der „British Forces Germany“ seit Juli 2014 größtenteils vollzogen.

Die Stadt hat sich trotz des sehr früh bekannten Datums und den absehbaren Folgen für die Kernstadt und den Immobilienmarkt, sowie den Einzelhandel nicht großartig darum bemüht, den daraus absehbaren Leerstand zu kompensieren. Teilweise problematisch ist hierfür auch, dass die Gebäude der Bundesrepublik Deutschland übergeben wurden und somit nicht der Stadt zur Verfügung stehen, um bei Anfragen der regionalen Bürger diese zu vermieten oder zu verkaufen. Auch Projektideen wie die Ausweitung der lokalen Hochschule oder der günstigen Studierenden-Alternative – dank der nun vorhandenen Großraum-Anbindung zu Hannover – wurden abserviert.

Die DEWEZET wartete nun heute mit einer neuen Idee auf, die Wohnungen eventuell zukünftigen Asylbewerbern zur Verfügung zu stellen, was angesichts der Stadtgeschichte gut passen würde und aus meiner Sicht begrüßenswert ist.

Hameln hat seinen Aufschwung zu einer ansehnlichen Kleinstadt in den 1960er und 1970er Jahren bis in die 1990er Jahre hinein eigentlich den Folgen der Nachkriegszeit zu verdanken. 1947 waren in Hameln noch 120 Häuser und 1014 Zimmer von der britischen Besatzungsmacht belegt. 846 Soldaten, 500 Zivilangestellte und 1400 Familienangehörige machen sich auch wirtschaftlich bemerkbar. Da die Stadt von kriegerischer Zerstörung bis auf wenige Ausnahmen größtenteils verschont geblieben war, siedelten sich ab Ende der 1940er Jahre auch größere Betriebe, die ihren ehemaligen Standort verloren hatten, in Hameln an. Auch die Bevölkerungszahl wuchs aufgrund der Aufnahme von Flüchtlingen bis zum Jahr 1950 auf über 51.000 Personen an, wobei die meisten Heimatvertriebenen aus Schlesien stammten.

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands erlebte Hameln ab 1990 auch einen erhöhten Zuzug aus den neuen Bundesländern, da die wirtschaftliche Situation sich vor Ort besser darstellte, als in den versprochenen bald wieder „blühenden Landschaften“ der CDU.  Man kann also behaupten, dass Hameln eine Flüchtlingsstadt ist. Auch wenn der Anteil der Ausländer 2009 nur noch 8,6% betrug, von ehemals über 10% im Jahre 1997.

1995 lebten in Hameln noch 302 Asylbewerber, 1999 nur noch 215 Asylbewerber, 2014 sind es nur noch 147 Menschen, die aus ihrer Heimat geflohen sind.

War Hameln also 1939 noch ein 29.000 Einwohner Städtchen, erreichte die Stadt dank des Flüchtlingszustroms ihren wirtschaftlichen und bevölkerungsreichsten Höhepunkt 1992 mit 59.294 Einwohnern.

Die Stadt Hameln ist eine Flüchtlingsstadt

Dieser kleine Zahlenausflug soll schlicht belegen, dass die Stadt Hameln schon seit Lebzeiten ihrer meisten aktuellen Einwohner eine Flüchtlings- und Migrationsstadt war und wirtschaftlich an diese gebunden ist.  Nun ist es sicherlich eine legitime Frage, wenn der Journalist Marc Fisser der Lokalzeitung DEWEZET sich fragt, ob der entstandene Leerstand nicht durch Zuzug einiger der aktuell 200.000 Menschen, die Asylanträge an die Bundesrepublik Deutschland gestellt haben, eventuell kompensiert werden könnte und es dadurch auch der Region wieder besser geht. Dies fragt er jedoch nicht.

Asylanten kommen oder könnten Kriegsflüchtlinge kommen?

Als gedruckte Lokalzeitung oder sowieso als Print-Journalist hat man nicht viel Platz in seinem Hauptprodukt und auch nicht immer die zeitlichen Kapazitäten, ausreichend ein solches sensibles Thema vorzubereiten und einzuleiten. Letztlich widmet die Deister- und Weserzeitung dieser Frage jedoch fast eine ganze Seite, was erstmal erfreulich scheint, diese sah dann heute wie folgt aus:

 

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Seiten-Ansicht des Dewezet-Artikels (Grafik)

 

Der Text leitet in der Überschrift mit einer rhetorischen Frage ein, was sich dem Leser nicht erschließt, selbst nicht unbedingt nach der kompletten Lektüre des Artikels.

Um die Idee emotional sinnvoll aufzubereiten wird dort von „unzähligen Menschen“ geredet (was ein Fakt ist), die aktuell aus dem Irak und Syrien flüchten und das „Die Bilder zum Leid der Flüchtlinge (…) auch die Bewohner des Weserberglandes erschüttern.“ Ungenannter „mancher Bürger“ fragt sich ob der Leerstand der ehemaligen Wohnungen der Briten nicht eventuell dafür genutzt werden könnte, das Leid der Flüchtlinge zu minimieren.

Um dem Artikel und der rhetorischen Frage Legitimität zu verschaffen, wird auch mit dem Hamelner „Fachbereich Recht und Sicherheit“ gesprochen.  Auch der Rathaussprecher Andreas Seidel wird mit „Uns ist von zusätzlichen Zuweisungen nichts bekannt.“ zitiert.

Auch die geringfügige Zahlenentwicklung der Asylanten in den letzten vier Wochen wird nur kurz dargestellt:

Zurzeit leben 174 Asylbewerber in Hameln. vor vier Wochen waren es 156.

Diese Zahlenentwicklung liest sich viellecht hoch, doch ist sie halt im Vergleich zu jeglicher historisch belegbaren Zahl und der Anzahl der benötigten Hilfe gering. Diese achtzehn Menschen hat man nach dem zweiten Weltkrieg in seiner eigenen Stube schlafen lassen.

Um die  Fragestellung zur Nutzung des Leerstandes auszubauen, wird noch Innenminister Pistorius und Thomas de Maiziére aus einer älteren Presseerklärung zitiert, dass „die aktuellen Zugangszahlen nicht wenige Kommunen vor wirkliche Probleme“ stellen würde. Dieses Zitat zieht sich durch fast jeden aktuellen Zeitungsartikel zum Thema. Dass diese Äußerung aus dem Zusammenhang gerissen wurde, davon erfährt der geneigte Leser kein Wort. Dass diese Situation in Hameln so wäre, dies ist auch nicht ersichtlich. Diese Information wäre wünschenswert.

Mit einer kleinen Info-Box rundet das Lokalblatt seinen Artikel ab. Diese stellt kurz und knapp die Stadt Hameln als das da, was sie seit gut einem Jahrhundert charakterisiert. Der Artikel hat also keinen Nachrichtenwert beinhaltet aber eine sehr vernünftige Idee, denn:

  • Die Frage ist rhetorisch
  • Im Rathaus weiß man von solch einer Idee nichts
  • Die Häuser können dafür von der Stadt nicht verwendet werden
  • Aktuell sind keine weiteren Zuweisung von Asylbewerbern erkennbar
  • Die Häuser stehen noch immer leer

Eigentlich kann sich Marc Fisser auch ganz zufrieden auf die Schulter klopfen, hat er doch eine Debatte angestoßen und eine vermeintlich sehr gute Idee in die lokale Welt gebracht. In der Kürze wurde die Situation der Stadt Hameln dargestellt, ein O-Ton organisiert und es in die aktuelle bundesweite Nachrichtenlandschaft der Asylbewerber aus Kriegsgebieten integriert. Toll! Weitermachen!

Bezahlschranken im Internet und Social Media

Wäre da nicht das Problem, dass anscheinend nicht jeder im Hause den rhetorischen, bereits sehr kurzen und sehr sensiblen Artikel liest.

Denn auf Facebook passierte folgendes:

dewezetfacebook
Screenshot: Facebook

 

Mit der Einleitung „Kommen bald mehr Kriegsflüchtlinge nach Hameln…“ kommen zwar nicht bald mehr Kriegsflüchtlinge nach Hameln aber definitiv kommt bald mehr sichtbarer Rassismus nach Hameln.

Es wird durch die hinzugefügte Einleitung noch schwieriger erkennbar, dass es schlicht eine hauseigene Idee ist. Man verlinkt leider auch nur auf den kurzen Anreißertext, der komplette Artikel verbirgt sich hinter einer Bezahlschranke.

Hier der nächste Fehler:

Die aus dem Artikel übernommene Bildunterschrift endet mit einem Punkt. Aus der im Print gedruckten Unterschrift:

Wären sie als Quartiere für Kriegsflüchtlinge aus dem Irak oder aus Syrien geeignet?

wird

Wären sie als Quartiere für Kriegsflüchtlinge aus dem Irak oder aus Syrien geeignet.

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Screenshot: Dewezet.de vom 01.09.2014

 

Keine Info-Box ist zu sehen, keine ausführliche Darstellung, dass Hameln schon seit der Nachkriegszeit immer von Flüchtlingen profitiert hat. Schlicht die Nichtnachricht wird nochmal zugespitzt und wie ein Heftig.co-Artikel für die Social-Media-Meute aufbereitet.

Die Folgen sieht man in den Kommentaren auf Facebook:

  • Na klar öffne deine arme hameln (4 Likes)
  • Immer rein damit… kotz! (1 Like)
  • Hammer hart -.-
  • Das hat ja noch gefehlt -.-„
  • Dann können Sie auch gleich eine neue polizeistation dahin bauen (5 Likes)
  • Wenn das so weiter geht können wir Balt mit Pistole  in die Stadt gehen (6 Likes)
  • toll, noch ein getto

Keine Darstellung der DEWEZET, keine Korrektur auch auf Hinweise von Personen, dass dieser Artikel eine rhetorische Frage ist, keine Intervention der Verantwortlichen. Die Kommentatoren verstehen teilweise nicht, dass die Idee eben nicht aus der Politik kommt, die deswegen noch mehr „gehasst“ wird und manche Meinungen lesen sich, als wäre diese fiktive Geschichte bereits beschlossene Sache . Die elf Linkteilungen werden mit „Auch dass noch!!!“ an den eigenen Bekanntenkreis weitergeteilt.

Kommt mehr Rassismus in die Lokalpresse?

Unbenannt-13Jedem Verantwortlichen sollte klar sein, wie sensibel ein solches Thema auch in der freien Presse angegangen werden sollte, die eben keine große übergeordnete Hauspolitik verfolgt, sondern den Anspruch hat, für den Bürger objektiv zu berichten und darüber hinaus auch Bildung zu betreiben. Wenn man ein eigenständiges Thema in die Debatte bringen möchte, sollte dies gerade in der Zeit von Bezahlschranken und Kurzlebigkeit von Informationen überlegter angegangen werden.

Es mag ja sogar sein, dass die Idee als solche gut gemeint war, doch benötigt eine so sensible Idee ein besseres Storytelling und Agenda-Setting, um solche konstruktivistischen Fehler beim Leser zu verhindern.

In Sachsen hat die Demokratie gerade eine Wahlniederlage erlitten. Rassismus und Nationalismus ist dank einer „Alternative für Deutschland“ wieder salonfähig geworden. Nur einige wenige Journalisten und Bürger machen sich die Mühe und schreiben sich überall in der Bundesrepublik in Kommentarspalten und Leitartikeln die Finger wund, um gegen den entstandenen Bildungsnotstand anzukämpfen.

Man fühlt sich schlicht nicht ernst genommen, wenn das Lokalblatt diese Fehler nach Hinweis nicht behebt, nicht in den Dialog mit solchen Personen mit unreflektierten Meinungen tritt, welche sie durch ihre eigene Berichterstattung hervorruft und schlicht manche Kommentare nicht moderiert. Dabei könnte der heutige Journalismus auch hier soviel mehr tun… Auch im Printprodukt veröffentlicht man nicht jeden Brief, warum also lässt man sowas im Internet zu?

Ein gelungenes  Beispiel wie man das Thema Migration angehen kann, liefert gerade das Wochenmagazin Nature. Ein fünf Minuten dauernder Film zeigt einige Migrationsbewegungen seit der Antike. Die University of Texas hat zusammen mit IBM dank offener Daten vom Google Ngram Viewer einen wundervollen Eindruck geschaffen, welche Bereicherung Migrationswellen und Migrationsbewegungen mit sich bringen, wenn man diese dank Datenjournalismus aufarbeitet:

 

Für den Lokaljournalismus und manch eine Provinzstadt sehe ich jedoch auch durch den kulturellen Verlust vom Wegzug anderer Kulturen einen gewaltigen Brain Drain. Wer sich nicht bemüht, seine Leserschaft durch offen zugängliche Informationen auch aus Fremdprodukten zu bereichern, wer sich selbst durch Bezahlschranken einer Möglichkeit der objektiven Darstellung von Informationen beraubt und wer seinen Lesern Sätze wie „Kommen bald mehr Kriegsflüchtlinge nach Hameln…“ zumutet, der muss sich nicht wundern, wenn er entweder eingestellt oder durch einen fremden Mantel von überregionalen Zeitungen, welcher nur dpa-Tickermeldungen beinhaltet, gleichgeschaltet wird.

Leserinnen und Leser gerade von Produkten wie „Nachrichten auf Facebook“ brauchen Menschen, die nicht nur auf den schnellen Klick aus sind, sondern ihnen auch erklären können, was sie dort vorfinden und wie es zu deuten ist. Wenn man sich jedoch die aktuelle Differenz der Darstellung auch manch einer überregionalen Zeitung im Verhältnis zu ihrem Print-Produkt und ihren Facebook-Beiträgen anschaut, merkt man, dass kaum ein Medium noch einer Hauspolitik folgt, was bedauerlich ist.. Denn die Zeitungen, die es noch sehr sichtbar tun, möchte ich nicht in einigen Jahren als einzige überlebende Leitmedien vorfinden.

Lieber Lokaljournalismus, auch für euch zählt: Jetzt schneller sterben ohne Internet!

Update: 03.09.2014:

Im Artikel wurde der Bildunterschriften-Fehler von einem Punkt in ein Fragezeichen geändert.

Update 03.09.2014:

Auf Wunsch des Chefredakteurs Frank Werner der DEWEZET habe ich die von mir angefertigten Screenshots und Fotos überarbeitet.

Ein Foto der kompletten Seitenansicht ermöglichte versehentlich das Lesen des gesamten Artikels. Meine Antwortmail an Herrn Werner beinhaltet auch die Bitte zur Stellungnahme des Inhalts meines Artikels und die Bitte zur Veröffentlichung des Schriftverkehrs, welchen ich hier nachreichen werde, wenn von Herrn Werner gestattet.

Update 04.09.2014:

Auf meine Veränderung des Artikels und meine Email wurde ich nochmals – und letztmalig formlos – von Herrn Werner dazu aufgefordert, alle per Screenshot duplizierten Original-Texte, Fotos, Überschriften, Bildtexte etc. zu entfernen. Nach Rücksprache mit meiner juristischen Beratung habe ich mich dazu entschieden, jegliche Bebilderung aus den Screenshots zu entfernen, da diese ebenfalls nicht notwendig wäre zur Herleitung meines Artikels und diese mit [Artikelbebilderung*] zu ersetzen. Die Texte die nun ersichtlich sind, empfinden wir jedoch dafür notwendig. Auf meine Fragen erhielt ich keine Antwort. Diese lauteten:

  • Wird die Thematik der Asylbewerber in den leerstehenden Häusern weiter verfolgt werden um diese gute Nutzungsidee auszubauen?
  • Besteht die Möglichkeit in Ihrem Haus, fremdenfeindliche, rassistische oder verletzende Kommentare auf Facebook zu moderieren oder Personen von der Diskussion nach mehrmaliger Verletzung dieser Regeln zu sperren?
  • Können Sie sich die Idee in ihrem Haus vorstellen, dass Herr Dr. Gökdemir eventuell bei gegenseitigen Interesse online eine Plattform erhält, zur Befragung und Beantwortung von Sorgen der Hamelner Bürgerinnen und Bürgern beim Thema Asyl/Migration?

Falls notwendig bin ich nun bereit, juristische Konsequenzen einzugehen.

Herrn Werner könnte man als Chefredakteur der Dewezet als Befürworter des Leistungsschutzrechtes bezeichnen.

Der vollständige Artikel lässt sich nach einmaliger Zahlung von nur 0,99 Euro auf der Seite dewezet.de erwerben.

Wer mag kann auch gerne sich bei mir die gedruckte Version persönlich und analog anschauen kommen.

Dies wäre erlaubt und zählt dann auch als höhere Verbreitung der Auflage, was auch Herrn Werner erfreuen wird:

Auflage DEWEZET (IVW.eu)