Archivierung des Artikels von 2011:
Alle Beziehungen von Menschen untereinander ruhen selbstverständlich darauf, daß sie etwas voneinander wissen. – Georg Simmel
In “Soziologie / Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung” schrieb Georg Simmel im Jahre 1908 über das Geheimnis und die geheime Gesellschaft. Was sich nach einem alten Groschenroman für Verschwörungstheoretiker anhört, entpuppt sich aus heutiger Sicht als eines der interessantesten Belege für den ursprünglichen Umgang mit den Definitionen von den heute verwendeten Begriffen der “Privatsphäre/Öffentlichkeit” und “Datenschutz/Transparenz”.
Ohne diese Begriffe überhaupt zu erahnen oder zu erwähnen legt er speziell in seinem Exkurs über den schriftlichen Verkehr da, vor welchen Probleme sich unsere “vergesellschaftliche Welt” mit dem Medium Internet befindet.
In seiner damaligen Weltanschauung waren Daten noch Briefe, Privatheit noch Geheimnisse und vielleicht gerade deswegen, ließ sich die Vorstellung der eigentlich schützenswerten Privatsphäre, wenn auch in einer für unsere Verhältnisse heute wundervoll verschwurbelten Schrift, noch ziemlich einfach auf den Punkt bringen.
Simmel war der Ansicht, dass eine Person, die sich mit einer anderen Person austauscht, nie die eigentliche Persönlichkeit präsentieren kann und wird, da nur das Geäußerte und Gezeigte das Bild prägen, was von einem im Verständnis des Anderen ankommt. Sein Ansatz war daher, dass Gesellschaft sich nur in der Art und Weise entwickeln kann, in dem jeder Mensch sich anderen Personen durch Worte und Leben offenbart.
Setzt man diesen Grundbaustein in unsere Zeit von Facebook, Google und Co. um, zeigt sich, dass Menschen bereit sind, mehr Wissen über die eigentliche Person in die Öffentlichkeit zu tragen, um anscheinend an der “globalisierten Vergesellschaftung” teilzuhaben.
Wovon Georg Simmel jedoch durchgängig ausgegangen war, ist die zwischenmenschliche Offenlegung von Informationen aus der Privatheit, die – einmal im öffentlichen Raum – zwar nur an den Adressaten bestimmt waren, doch besonders im Bezug auf die Aussage “es wäre nur für den Adressaten bestimmt”, erst gesellschaftlich relevant wurden. Man überträgt dem Schützer dieser Information die Aufgabe, diese nur für sich zu verwenden und sie vor Dritten zu bewahren, doch warum gibt man sie dann erst überhaupt preis?
Jeder kennt sicherlich die Situation zwischen Kindern, die in einem ungefähren Gesprächsverlauf wie folgt wirken kann:
- Kind A: Wer ist dein bester Freund?
- Kind B: Natürlich Du!
- Kind A: Und wie findest du Kind C?
- Kind B: Nicht so gut wie Dich!
- Kind A: Ich mag ihn auch nicht, dass bleibt aber unter uns, ja?
Treffen sich dann aber Kind A & Kind C oder Kind B & Kind C, wird das identische Gespräch geführt werden, nur die Freundschaftsverhältnisse werden getauscht. Allen ist bewusst, dass sie in einem anderen Kontext ein anderes Bild abgegeben haben und kommt es zu einem Streit, werden diese Informationen zu einer Art Druckmittel, die – obwohl inhaltlich als Lüge einzustufen – durch ihre Einstufung als “Geheimnis” erst zu dieser Macht gelangen kann.
Nach der Ansicht von Simmel ist ein Geheimnis nur dann gesellschaftlich relevant, wenn es weiteren Personen unter gewissen Vorraussetzungen mitgeteilt wird. Warum sollte man sonst auch explizit jemandem ein “Geheimnis” mitteilen, wenn man nicht will, dass diese Person oder man selbst daraus einen gesellschaftlichen Nutzen zieht?
Somit ist auch ein geäußertes Geheimnis eine Bestandteil der Gesellschaft, da es zusammen mit den wahren oder gelogenen Äußerungen einer Person, zum Wissen über diese Person beitragen. Wir bauen unsere wichtigsten Entschlüsse auf ein kompliziertes System von Vorstellungen, deren Mehrzahl das Vertrauen, daß wir nicht betrogen wurden, voraussetzt.
Natürlich gibt es aus unserer heutigen Perspektive die angebliche Problematik der Zusammenführung von Informationen (Data Mining) und auch die Bewertung (Scoring) dieser, um neue Erkenntnisse in die bunte Welt der Werbebranche und Kreditinstitute zu bringen, doch welchen gesellschaftlichen Mehrwert haben diese Daten wenn sie zwar vor der einen Personengruppe geschützt, der Anderen aber durch Verkauf – wenn auch in anonymisierten Form – zugeführt werden?
Die Problematik die heutige Geheimnisbewahrer Vertreter des Datenschutzes haben, ist den Schutz von Daten zu gewährleisten. Die reine Masse der Daten, die technische Zugänglichkeit, die Verknüpfungsmöglichkeiten sind in seiner aktuellen Form einfach nicht schützbar, solange sie erhoben oder freiwillig bereitgestellt werden.
Den Umkehrschluss, den diese Seite ja als “Post-Privacy”-Ansatz vertritt ist der, dass wir in Georg Simmels Sinne eben nicht selbst geäußerte Geheimnisse schützen dürfen, sondern sie der Allgemeinheit zugänglich machen müssen. Der Unterschied der sich kristallisiert ist, dass man zwischen freiwilligen Äußerungen und staatlich erhobenen Daten unterscheiden muss.
Wenn man persönlich sich bereit erklärt, Dienste wie Google Latitude, Foursquare, Facebook und Co. zu nutzen, dürfen eben nicht diese Daten durch einen aus staatlicher Sicht geforderten Datenschutz unterfallen, sondern der Allgemeinheit zur Verfügung stehen.
Erst durch den angeblichen Schutz dieser Daten und sie zu einem schützenswerten Geheimnis zu stilisieren, entsteht die Gefahr, die von Ihnen ausgeht, nämlich dass diese Daten in Hände fallen, in die sie nicht gehören. Werden sie von Anfang an der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt, entsteht keine Gefahr, da keine Daten anfallen werden, die es zu schützen sich für die einzelne Person lohnt.
Datenschutz ist nicht immer Geheimnisschutz
Der Wunsch nach Datenschutz im Internet ist also nur dann berechtigt, wenn es um Informationen geht, die über die einzelne Person unter staatlichen Zwang erstellt werden und man ansonsten nicht bereit wäre, sie mit der Gesellschaft zu teilen.
Denn aus der eigentlichen Historie war Datenschutz der Gedanke, dass man sich vor dem Staat schützen muss und die von ihm mit Zwang erhobenen Daten nur dann Dritten zur Verfügung stehen, wenn man selber dazu gewillt ist, oder sie in einer anonymisierten Form durch “Data Mining” als offenen gesellschaftlichen Mehrwert betrachten kann.
Anders als Datenschutz war die Privatsphäre in seiner eigentlichen Bedeutung der Schutzraum vor der gesellschaftlichen Öffentlichkeit, den man freiwillig nutzen konnte, um seiner freie Entfaltung der Persönlichkeit nachzugehen.
Privatsphäre war jedoch nie Persönlichkeitsentfaltung, wenn man sie mit einer anderen Person teilt, da auch die auf Vertrauen basierte Information an einen Anderen, immer ein Bestandteil der Gesellschaft war.
Die freiwillige Aufgabe der Privatsphäre
Wenn nun aber Datenschützer und der Staat die freiwillige Öffnung der Privatsphäre und der verstärkten Teilhabe an der Gesellschaft mit der eigenen Persönlichkeit mit dem Schutzinteresse begegnen, zeigt sich der Januskopf, der um die vielen Begriffe von Privatheit, Datenschutz, Transparenz, Öffentlichkeit, etc. entstanden ist.
Der Wegfall der staatlichen Datenhoheit und der daher als einziger Geheimniswahrer entstandenen Macht gegenüber den unfreiwillig erhobenen Informationen der einzelnen Personen und die Zunahme von freiwillig bereitgestellten Informationen an die Öffentlichkeit, führen zum Machtverlust, der nur aufrecht erhalten werden kann, wenn man bereit ist, diese Macht mit neuen Geheimniswahrern zu teilen.
Da aber Google, Facebook & Co. die von Nutzern freiwillig bereitgestellten Daten größtenteils frei zur Verfügung stellen oder gerade durch die freie Verfügbarkeitmachung dieser Daten ihre Geschäftsmodell legitimieren, muss durch eine heraufbeschworene ausgehende Gefahr dieser Dienste an der Gesellschaft, diese künstlich durch den geforderten Datenschutz herbeigeführt werden.
Die Differenzierung die also bei Informationen notwendig ist, ist die, ob Daten freiwillig bereitgestellt werden, mit all ihren Vor- und Nachteilen, oder ob sie unfreiwillig erhoben wurden und nur einer eingeschränkten Öffentlichkeit zugänglich sind und so nur einer kleinen Gruppe von Nutzern einen Mehrwert versprechen.
Die gemeinschaftliche Gesellschaft
Die Frage die sich daraus ergibt ist, ob nicht gerade durch den berechtigten Grund der Sorge um die erhobenen Daten vom Staat, die Datenschützer und Privacy-Anhänger durch den falschen Ansatz bei freiwilligen Daten auf nicht vorhandene Probleme gelenkt werden.
Die Privatsphäre ist ein Recht, welches man sich nehmen darf und welche es sich beim Wunsch es zu nutzen, geschützt werden muss. Es ist keine Regel mit allgemeinem Geltungsanspruch, die eingehalten werden muss. Erst durch die Bereitschaft einer Person, sich freiwillig gegenüber einer anderen Person zu öffnen, kann überhaupt irgend eine Form von Gesellschaft entstehen. Denn alle Handlungen die man gegenüber einer anderen Person tätigt, die freiwillig oder unfreiwillig in vorhandenen Informationen in legaler oder illegaler Form in Erfahrung zu bringen sind, sind nicht mehr einforder- oder schützbar. Sie sind ein Bestandteil der Öffentlichkeit geworden. Die reine Quantität der Informationen die durch diese Öffnung entsteht, sagen letztlich zwar viel über eine Person aus, doch sind sie trotzdem nur ein Abbild dieser Person, welches in keinster Weise einen objektiven und qualitativen Gesamteindruck ermöglichen können.
Nur die Informationen die ich nicht bereit bin zu teilen, sind die eigentliche Privatheit denn wie Simmel es bereits vor 100 Jahren zusammenfasst:
Hier scheiden sich also zwei Wege, die ersichtlich eine prinzipielle Differenzierung des soziologischen Sinnes der Gesellschaften überhaupt bedeuten, so sehr die Praxis sie mischen oder ihre Schärfe herabmindern mag: dem Grundsatz, daß eingeschlossen ist, wer nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist, steht der andre gegenüber, daß ausgeschlossen ist, wer nicht ausdrücklich eingeschlossen ist.