Medien und Journalismus
Society, you’re a crazy breed, I hope you’re not lonely without mesociety, crazy indeed, I hope you’re not lonely without me(Eddie Vedder)
Manchmal ist der Umgang mit Wörtern zur Nutzung als Metapher im Journalismus erstaunlich. Sei es das journalistische Standardmaß „Fußbalfeld„, welche gerne genutzt wird um alle möglichen größere Dinge zu erklären, oder die inflationäre und somit beim Leser ermüdende Nutzung von Kriegs-Metaphorik.
Nun ist man seit geraumer Zeit auf ein neuen Trend gekommen: Zur Beschreibung von fast immer andersartigen Verhalten einer Gruppe oder Einzelpersonen als Gegenbild der gesellschaftlichen Norm, wird heute Autismus verwendet. Entweder ist es der „gesellschaftliche Autismus“ oder der „kalte Autismus“ oder der „sexuelle Autismus“, wie zum Beispiel nun zur Herleitung des Textes „Die Zauberlehrlinge machen Party“ von Ingeborg Harms auf Zeit Online.
Autismus begegnet uns heute allerorten als Metapher, ob in den Medien, in der Politik oder in der Wirtschaft. Anders aber als Fußballfelder oder „Schnäppchen-Jäger in Rabattschlachten“ wird bei der Nutzung des Wortes Autismus eine betroffene Personengruppe mit falschen Zusammenhängen in der Öffentlichkeit in Verbindung gebracht. Autismus hat aber bereits ohne die inflationäre Diskreditierung des Wortes als Metapher ein starkes Problem, in der Öffentlichkeit überhaupt verstanden zu werden.
Monika Scheele Knight hat dazu einen sehr ausführlichen Text aus ihrem Buch mit dem Titel „Der Autismus unserer Zeit. Zur Popularität einer Metapher“ veröffentlicht, um die Nutzung des Wortes zu beschreiben, welcher wie folgt endet:
Die Prägung des Symbols lässt bereits deutliche Rückwirkungen auf die Wahrnehmung des Syndroms erkennen, wie Newtown und München leidvoll verdeutlicht haben. Es ist lange überfällig und spätestens jetzt allerhöchste Zeit, den Autismus von der negativen Vereinnahmung zu befreien.
Umgang beim Hinweis auf die Nutzung des Wortes
Als ich nun den oben erwähnten Artikel von Ingeborg Harms las – gerade aus Interesse an der Verwendung des Wortes Autismus im Zusammenhang mit dem Internet-Phänomenen Harlem Shake – wollte ich mit einem Tweet eigentlich auf den Fehler „Leipzig-Universität“ im Bilduntertitel hinweisen und mich nur nebenbei auf die mal wieder negative Vereinnahmung des Wortes beziehen:
Liebe @zeitonline, „Sexueller Autismus“ und Leipzig-Universität. Wo ist die Tischkante eures Texters?twitpic.com/cd53do
— Torben Friedrich (@Fritten) 21. März 2013
Als schnelle Antwort erhielt ich vom Twitter-Account von @zeitonline folgende Reaktion:
@fritten Wer könnte einem so sachlich vorgetragenen Hinweis auf einen Rechtschreibfehler widerstehen? Danke für den Tipp. (leo)
— ZEIT ONLINE (@zeitonline) 21. März 2013
Es wurde also explizit nur auf den Tippfehler eingegangen, nicht auf die erwähnte diskriminierende Verwendung des Wortes Autismus als Metapher. Darauf antwortete ich – zugegeben – etwas trotzig:
@zeitonline Dafür nicht. Und richtet Frau Harms freundlich aus, sie solle ihren eigenen sexuellen Autismus doch bitte nicht in Texte gießen.
— Torben Friedrich (@Fritten) 21. März 2013
Darauf folgte ein kurzer Dialog mit der mir bis dahin unbekannten Social Media Editorin von Zeit Online, Frau Juliane Leopold:
@ennomane @fritten Gerne über meinen Account: Eine Diskussion über Fehler in Bildunterschriften führen wir gern. Aber ohne Beleidigungen.
— Juliane Leopold (@julianeleopold) 21. März 2013
@julianeleopold Danke für Angebot. Beleidigung liegt mir fern. Primär die Vermengung und inflationäre Nutzung von Autismus stört. Liegt 1/2
— Torben Friedrich (@Fritten) 21. März 2013
@julianeleopold sicherlich auch am blumigen Sprachstil von Frau Harms. Kritik am Kommentar ist geübt, Twitter für Diskussion ungeeignet. 2/2
— Torben Friedrich (@Fritten) 21. März 2013
@julianeleopold Die aktuelle journalistische Tendenz „Autismus“ als Metapher für alles mögliche zu nutzen ist ein Problem für Betroffene.
— Torben Friedrich (@Fritten) 21. März 2013
Daraufhin wurde ich vom Account @julianeleopold ohne weitere Bezugnahme auf das Gespräch geblockt.
Ich empfinde es nicht als störend von Personen geblockt zu werden, denn Filtersouveränität obliegt der jeweiligen Person. Ich empfinde aber meine verwendeten Worte weder beleidigend, noch die Bezugnahme auf den von mir kritisierten Kommentar von Frau Harms verwerflich, als dass ich ohne Hinweis nun gesperrt werde.
Leider vermittelt mir der Umgang mit der von mir vorgebrachten Kritik aber ein Bild des journalistischen Desinteresses an der gesellschaftlichen Aufklärung in diesem Bereich, oder anders ausgedrückt: Die journalistische Ignoranz war in diesem Fall mindestens vier Fußballfelder groß.
Weitere kritische Blogartikel zum Artikel von Frau Harms:
– Nochmal Autismus
– So ein bisschen Autismus
– Was der Harlem Shake mit Autismus zu tun hat
– Gut, dass wenigstens die Medien Bescheid wissen…
Update:
Das Missverständnis mit Frau Leopold ist aufgeklärt. Sie hatte den Tweet nicht als „Autismus“-Kritik wahrgenommen. Die relevanten Tweets in der chronologischen Reihenfolge: 1, 2, 3, 4,
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