Tanzverbot und musikalisches Abendgrillen

Religionsfreiheit und Laizismus6

Ich würde nur an einen Gott glauben,
der zu tanzen verstünde.
Und als ich meinen Teufel sah,
da fand ich ihn ernst, gründlich, tief, feierlich;
es war der Geist der Schwere – durch ihn fallen alle Dinge.
Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tötet man.
Auf, laßt uns den Geist der Schwere töten!
Ich habe gehen gelernt: seitdem lasse ich mich laufen.
Ich habe fliegen gelernt: seitdem will ich nicht gestoßen sein,
um von der Stelle zu kommen.
Jetzt bin ich leicht, jetzt fliege ich,
jetzt sehe ich mich unter mir,
jetzt tanzt ein Gott durch mich.

(‚Also sprach Zarathustra‘ – Friedrich Nietzsche)

An Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag gilt in Deutschlands noch immer das Tanzverbot. Dieses Beispiel von staatlicher Seite verpflichtender „Scheintoleranz“ gegenüber einer immer weiter schrumpfenden Religionsgemeinschaft hat nichts mit der angeblich vorhandenen Trennung von Kirche und Staat zu tun, sondern festigt nur die deutsche Verbotskultur.

Glaube und Religionsausübung ist in Deutschland eben noch keine gleichberechtigte, tolerierte und freie Privatsache, sondern noch immer eine öffentliche Angelegenheit mit Bevorzugungen und Einschränkungen einzelner Glaubensmodelle, was einfach nicht mehr der gesellschaftlichen Realität gerecht wird.

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Umgang mit dem Wort Autismus in Medien

Medien und Journalismus

Society, you’re a crazy breed, I hope you’re not lonely without me
society, crazy indeed, I hope you’re not lonely without me
(Eddie Vedder)

 

Manchmal ist der Umgang mit Wörtern zur Nutzung als Metapher im Journalismus erstaunlich. Sei es das journalistische Standardmaß „Fußbalfeld„, welche gerne genutzt wird um alle möglichen größere Dinge zu erklären, oder die inflationäre und somit beim Leser ermüdende Nutzung von Kriegs-Metaphorik.

Nun ist man seit geraumer Zeit auf ein neuen Trend gekommen: Zur Beschreibung von fast immer andersartigen Verhalten einer Gruppe oder Einzelpersonen als Gegenbild der gesellschaftlichen Norm, wird heute Autismus verwendet. Entweder ist es der „gesellschaftliche Autismus“ oder der „kalte Autismus“ oder der „sexuelle Autismus“, wie zum Beispiel nun zur Herleitung des Textes „Die Zauberlehrlinge machen Party“ von Ingeborg Harms auf Zeit Online.

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Die Mär mit dem Twee-Q

Gender und Gleichstellungtweeq

Seit einigen Tagen landen vermehrt gleichlautende Tweets in meiner Timeline:

How equal are your tweets? @users’s Twee-Q is X. Distribution of retweets: Y% women, Z% men. #tweeq http://TWEE-Q.com

Meistens wurden diese Tweets von Personen, die ich auf Grund ihres Interesses an Gleichstellungsthemen und oder ihrem Interesse an geschlechterübergreifender Problembehebung lese, verfasst. Desto erschreckender fand ich, dass der Dienst Twee-Q von diesen Personen weder hinterfragt, noch genau betrachtet wurde, was dort eigentlich gemacht wird. Stattdessen wurde die Idee sogar als „gut aber nicht weitreichend“ bezeichnet und durch die offene Möglichkeit Nutzer zu bewerten sogar bewusst Personen an den Pranger gestellt.

Denn Twee-Q ist nicht nur statistische Kaffeesatzleserei, sondern schafft ein Problem welches nicht existieren würde, wenn man es nicht durch Twee-Q erst geschaffen hätte.

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Leistungsschutzrechtsbezieher

Internet und Rechtnetzfreier raum

Ab dem 01. März 2013 wird es Leistungsschutzrechtsbezieher in der Bundesrepublik Deutschland geben, denn heute wird der Bundestag darüber beschließen, dass Presseverlage dafür Geld bekommen werden, wenn andere Werbung für deren Inhalte im Internet machen und sie diese Inhalte teilweise zitieren und auf die Ursprungsquelle verlinken, so wie es Google mit seinen Textsnippets macht.

Zum Leistungsschutzrecht für Presseverleger wurde eigentlich alles gesagt:

Ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger hat weder eine Notwendigkeit noch eine Rechtfertigung. Ein solches Recht wird einerseits nicht benötigt und hat andererseits – unabhängig von dessen Ausgestaltung – zwangsläufig sehr bedenkliche Auswirkungen auf die Interessen Dritter und das Gemeinwohl. – IGEL

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KinderServer leicht umgehen.

Sicherheit und Internet

KinderServer-info

Mit großen medialen Echo startet die Familienministerin Kristina Schröder ihren KinderServer. Mit toll klingenden Überschriften wie „Sicheres Surfen für Kinder“ oder „Schutz vor Sex-Inhalten“ wird eine schnell dahingezimmerte Add-On für den Firefox-Browser und Google-Chrome beworben, was nichts anderes ist, als ein Proxy-Server.

Mal wieder wird versucht zu suggerieren, dass man Kinder vor dem Internet schützen müsste, mal wieder werden dadurch Inhalte die eher der Aufklärung und Bildung eines Kindes dienen würden gesperrt und gefiltert und mal wieder wird versucht den Eltern zu vermitteln:

„Lasst euer Kind ruhig allein vor dem Computer sitzen, denn es kann nichts passieren mit diesem tollen Werkzeug.“

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Fertigmachen und Stänkern

Piraten und Medien

Als der Journalist Patrick Tiede eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, sah er sich in einem deutschen Reporter verwandelt. Als solcher hatte er mit seinem Notebook ein paar Tweets einiger Mitglieder der Piratenpartei öffentlich mitgelesen – weil da doch alle so offen sind und man es dann noch einmal in Ruhe bewerten konnte. Tiedes Problem: Journalismus basierend auf Twitter und einigen dpa-Meldungen sind kein kafkaesker Albtraum. Tiedes Lösung: Häme und Respektlosigkeit in seinen Kommentaren.

So geht es zu bei der Presseberichterstattung über die Piratenpartei, die in den jüngsten Presseberichten nach dem medialen Hype um sie gnadenlos in der Gunst der Presse abgerutscht sind – auf gerade noch schlechte Kalauer und irrwitzige Storys über ihre eigene mediale Darstellung.

Die Piratenpartei liefert verlässlich ihre Offenheit in ihren Gesprächen und somit auch ihre Querelen. Ponaders Hartz-IV-Bezüge, die in der Presse nicht von beiden Seiten beleuchtet werden und daher kaum jemand die Sichtweise von Ponader kennt, Rydlewskis Sex-Twitterei, worauf gerade mal 14 Presseberichte im Boulevard eingegangen sind, oder die Nuklearia Atom-Arbeitsgruppe, die mit Butterbroten warme Brüter erklärt – es ist eine bunte Medienwelt von Absonderlichkeiten um die Piraten entstanden. Zwei Medienschichten laufen hier aufeinander.

Erstens: die „alten Medien“ – also jene, die ihre Konsumenten noch auf Papier oder am Bildschirm halten, weil sie sich den neuen Möglichkeiten des Mediums Internet nicht bewusst sind. Und auch sich dieses Verhalten durch Leistungsschutzrechte anstatt neue Antworten sichern lassen. Weil die Piraten hier aber nicht liefern, wenden sich diese Berichterstatter ab. Eine Partei, die sich nicht medial anpasst und trotzdem gar nicht so anders ist als die Anderen – die kommt hier nicht gut an. […]

Am Willen zum zum Diskurs jedenfalls mangelt es nicht. Auf Twitter wird alles von den „alten Medien“ seziert, anstatt über die eigentliche Arbeit berichtet. Und dann kommt es schon mal zu einem Selbstabrechnungs-Tweet, gelesen gestern um 18.10 Uhr:

Die böse Öffentlichkeit, die uns alle kaputt macht, sind wir übrigens selbst. #dickesfell #Piraten

— Gero von Zweifeln (@zweifeln) September 3, 2012

Da auf das „Erstens:“ kein „Zweitens:“ folgte, sondern im Blogkommentar von Tiede nur ein krudes Protestwähler würden abwandern, weil wir keine Antworten auf die großen politischen Fragen hätten kam, konnte ich die Glosse leider nicht vernünftig abschließen und leite darüber lieber das Problem der Piraten mit ihrer Medienkompetenz her.

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Offener Brief an die Nerds

Liebe Nerds in der Piratenpartei,

ich spreche euch hier so explizit an, weil ich manchmal glaube, dass ihr selber nicht mehr wisst, wer ihr seid. 2006 haben sich sogenannte technische Nerds zusammengesetzt und eine Partei gegründet, weil sie in ihrem Bereich der Netzpolitik erkannten, dass etwas in diesem Land falsch läuft. Sie wollten das System hacken, sie wollten es umprogrammieren, sie wollten es neu schreiben und verbessern, weniger anfällig machen und benutzerfreundlicher gestalten. Darin waren sie gut und sie stellten fest, dass die anderen Parteien hier nicht vernünftige Politik aus Unverständnis an der Thematik heraus machen können.

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Cojones hart wie Camembert.

Die Sendung war nicht frauenfeindlich, sondern menschenverachtend

Glaube zu neoParadise und der Debatte um den „gestelltensexuellen Übergriff an einer Messehostes wurde alles gesagt.

Das ZDF und Joko haben versucht sich in 140 Zeichen zu entschuldigen, der Freitag fragt „Weiß Herr Heufer-Umlauf eigentlich, was ihm da so aus dem Munde entfleucht? Denkt er vor dem Sprechen? Oder denkt er lieber gar nicht?“ und Antje Schrupp schließt mit „Eine solche Sendung ist in jeglichem denkbaren Kontext frauenfeindlich, denn der einzige Inhalt dieses „Witzes“ ist es, das Verhältnis von Männern zu Frauen als eines der Macht und der Dominanz darzustellen, dass Männer mit Frauen Dinge tun können, ohne sich um deren Zustimmung und Meinung zu scheren.“ ab.

Feminismus und sexuelle Übergriffe werden durch die Debatte wieder medial platziert und bekommen notwendige Berichterstattung und zeigen in diesem Bereich auf, wie wichtig hier eine gesellschaftliche Sensibilisierung ist.

Die Sendung war aber letztlich nicht einfach nur frauenfeindlich, sondern schlicht menschenverachtend.

Diese ganze Reduzierung auf “Wenn du dich nicht traust, die Frau ohne ihre Einwillung anzufassen, bist du feige!” ist einfach zu einfach. Es ist immer entwürdigend, von fremden Menschen ohne die eigene Einwilligung angefasst zu werden, ganz egal, ob man eine Frau oder ein Mann ist und dies hat die Sendung durchweg getan.

Der eigene Körper gehört einem selbst, wird in Deutschland vom Grundgesetz im Artikel 2 mit dem Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit und der körperlichen Unversehrtheit zugesichert und wenn jemand Fremdes ihn ungefragt anfasst, dann läuft etwas falsch und ich habe das Recht mich dagegen zu wehren. Nein, nicht nur mich zu wehren, zu soetwas darf es einfach nicht kommen und es darf definitiv nicht durch das öffentlich-rechtliche Fernsehen protegiert werden. Da ist es dann auch egal, ob es ein B-Promi ist und sich dafür in der Sendung mit schwarz/weiß-Einblendungen entschuldigt und dafür nachträglich einen Tweet versendet.

Die gesamte Sendung sollte mit dem Thema der eigenen körperlichen Unversehrtheit punkten und Witze auf Kosten von Entwürdigung und Verachtung aufbauen.

Joko verteilt absichtlich zu Beginn der Sendung Chipskrümel auf dem Boden und lässt es von der Hostess aufsaugen. Dies entwürdigt die Angestellte, auch wenn dies wohl noch in ihren Arbeitsbereich aus Demonstrationsgründen fallen würde. Klaas wird von Joko wohl dazu gebracht worden sein, zur „Funkausstellung“ ein Funk-Kostüm aus den 1960er Jahren tragen zu müssen. Mehrere Gäste werden mit einem sehr übelriechenden Pupsspray bewusst weggeekelt. Sehr witzig. Willkommen beim Privatfernsehen.

Mit dem stinkenden Finger, den jeder kennt wer schon mal so einen Scherzartikel besessen hat oder mit diesem stinkenden Zeug in Kontakt kam, soll Klaas nun Nasen von den „spießigen Schlipsträgern klauen„. Da aber fünf „spießige Schlipsträger„, die ja auf so einer Messe eh wohl weiß und im mittleren Alter sein werden langweilig sind, fehlt Joko natürlich in seiner Sammlung auch eine „asiatische Nase„, die ja auf solch einer Messe eher selten ist. Wer den Kulturraum kennt und wenn der Angestellte der Firma Hyundai vielleicht sogar Südkoreaner war, war nur dieses „anfassen der Nase“ ein schwerer Eingriff in sein Gibun. Wie höflich dieser Herr es überspielen kann, ist bewundernswert.

Da aber selbst die „asiatische Nase“ noch zu langweilig ist und selbst die Asiaten ja schon mit Schlips und Anzug rumlaufen, braucht man natürlich auf einmal keine „spießige Schlipsträgernase“ mehr sondern, eine mit Bollywood-Musik unterlegte, wohl indische Nase. Auch hier wurde also fünfmal wundervoll ein Mensch ohne vorher um Erlaubnis zu Fragen begrapscht und sich munter über dessen kulturelle Umgebung oder Herkunft lustig gemacht.

Dann kommt der zum Eklat geführte und  „nur angedeutete“ Übergriff an der Hostess, wird melodramtisch mit böser und moralisch verwerflicher Musik unterlegt, es wird sich „wahnsinnig“ dafür entschuldigt und durch eine schwarz-weiße Einblendung sich für dieses menschenverachtende Verhalten von Joko entschuldigt, die durch einen „freundschaftlichen sexuellen Übergriff“ bei Joko von Klaas dann wieder lustig, bunt und munter weitergespielt wird.

Bisschen Pupsspray noch hier und da verteilen um ein paar Messebesucher zu verschrecken und dann kommt die eigentlich entscheidende Szene, die dieser menschenverachtenden Sendung ein tolles Ende beschert.

An einem Messestand für Friseurbedarf soll Klaas sich von Joko die Haare schneiden lassen. Hier wird dann aber abgebrochen. Die Haare schneiden lassen von jemanden dem man nicht Vertrauen kann, der Menschen ohne zu Fragen sexuell belästigt und andere dazu auffordert geht selbst Klaas zu weit. Diest steht ja in keinem Verhältnis. Dies wäre halt ein einfach viel zu großer Eingriff in seine eigene Unversehrtheit und seine Menschenwürde.

Diese öffentlich-rechtliche Sendung strotzt vor Verachtung an der Unversehrtheit andere Menschen und Kulturen, nur wenn es dann um die eigenen Schönheitsideale geht, dann wird man auf einmal hellhörig.

Ich werde ebenfalls an den Presserat schreiben, aber mir geht es nicht nur um den sexuell-motivierten Übergriff, sondern um die ganze menschenverachtende Sendung.

Sowas habe ich noch nicht einmal in den privaten Medien gesehen.

Bin aber wohl nur einfach wieder viel zu menschlich und ein zu radikaler Humanist und ich sollte doch mal einfach ein bisschen toleranter sein.

(Überschrift aus einem Tweet von @c_holler kopiert.)

Porno-Pirat und ACTA-Berichterstattung

Anscheinend bin ich jetzt boulevardtauglich gemacht worden.

Nach der ganzseitigen Vorberichterstattung zur ACTA-Demonstration wurde letztlich als Nachberichterstattung dieser nette Artikel in der Dewezet veröffentlicht:

Bekanntlich sind ja die Piraten ausgewiesene Anhänger des Internets und sie nutzen es intensiv, wenn nicht gar exzessiv. Kein Wunder also, dass sich auch heimische Kommunalpolitiker dieser Richtung an einer Demonstration in Hannover beteiligten, mit der gegen das Urheberrechtsabkommen „Acta“ protestiert werden sollte – angeblich fürchten die Gegner dieser Regelung die Einführung einer Zensur im Netz und eine eingeschränkte Nutzung desselben. Unter den Kritikern, die in Hannover ihren Unmut zum Ausdruck brachten, war auch Torben Friedrich, Ratsmitglieder der Piraten in Coppenbrügge. Sein Plakat spricht Bände: Der Spruch darauf lautet übersetzt in etwa, dass das Internet für Pornografie da sei. Mit dieser These hat es der Nachwuchspolitiker immerhin in ein Online-Magazin geschafft. Mag man drüber denken, wie man will…

Man kann sagen die Schilder haben sich gelohnt.

Dieses „immerhin“ Online-Magazin war übrigens heise. Immerhin.

Internet-Aktivisten sehen Freiheit in Gefahr

Presse-Artikel der Schaumburger Zeitung vom Freitag, 10. Februar 2012, Seite: 16

Von Lars Lindhorst

Seinen Schlaf hat Torben Friedrich derzeit auf ein Minimum reduziert. Für den 24-jährigen Coppenbrügger sind die Nächte derzeit nach seiner Aussage nicht länger als drei Stunden. Friedrich bezeichnet sich selbst als „Netzwerker für die Hannoveraner“. Friedrich, der für die Piraten-Partei auch im Coppenbrügger Gemeinderat sitzt, organisiert derzeit fast rund um die Uhr einen Protest, der weit über die Grenzen seiner Partei hinausgeht – er richtet sich an die Nutzer von Twitter, Facebook und Co; zum Protest aufgerufen sei letztlich die gesamte Netzgemeinde. Die Freiheit im Internet ist durch das internationale Handelsabkommen ACTA in Gefahr, lautet der zentrale Kritikpunkt.

Die Netzgemeinde läuft derzeit Sturm gegen das „Anti Counterfeiting Trade Agreement“, kurz ACTA. Vor allem im Internet ist ein heftiger Konflikt entbrannt um den Vertrag, der zum Ziel hat, Urheberrechte auch international durchzusetzen. Ende Januar hat die EU das Handelsabkommen unterzeichnet, seither formieren sich quer durch Europa Proteste.

Der ACTA-Vertrag geht auf eine Initiative der USA und Japans im Jahr 2006 zurück. ACTA-Initiatoren und -befürworter wollen mit dem Handelsabkommen die Produkt- und Markenpiraterie bekämpfen, Markenfälschungen und Raubkopien verhindern. „Insbesondere die Pharma-, Film-, und Musikindustrie hat Interesse an dem Abkommen“, sagt Torben Friedrich.

Die Film- und Musikbranche kämpft seit Jahren mit dem Urheberrecht im Internet. In ACTA sehen sie ein Instrument, insbesondere den Raubkopierern das Handwerk zu legen. Geht es nach den Befürwortern des Abkommens, soll dem nun Einhalt geboten werden. Internet-Anbieter, sogenannte Provider, sollen nun für Urheberrechtsverletzungen von Kunden haftbar gemacht werden können. Darüber hinaus sollen sie Daten wie die IP-Adresse herausrücken, die bei Verstößen eine Identifizierung von Personen ermöglichen. Inhaber von Urheberrechten könnten dann ihre Ansprüche juristisch durchsetzen. Ferner sollen Maßnahmen gegen die Umgehung von Kopierschutztechniken ergriffen werden. „Dadurch werden Provider und Webseitenbetreiber ermutigt, ihre Nutzer zu kontrollieren“, kritisiert Friedrich. Dass das gegebene Urheberrecht, besonders angewandt auf das Internet, schon lange nicht mehr zeitgemäß ist, betonen Piraten-Partei und viele Internetnutzer schon lange. Die ACTA-Kritiker sehen nun aber eine weitere Verschärfung des vermeintlich überholten Urheberrechtes. „Die alltägliche Nutzung des Mediums Internet, so wie sie jetzt gegeben ist, wird es durch ACTA nicht mehr geben“, ist Friedrich überzeugt.

Aber dies ist nicht der einzige Knackpunkt: Der Protest der Netzgemeinde entzündet sich auch an der Entstehungsgeschichte des Vertrags seit 2006. Hinter verschlossenen Türen, ohne Beteiligung der Öffentlichkeit, quasi als „Geheimvertrag“, sei das Abkommen ausgehandelt worden. Zwar wurde der Vertragstext zwischenzeitlich entschärft, sagt Friedrich, aber viele Fragen blieben offen. „Und es gibt einfach viel zu viel Interpretationsspielraum.“

Dem stimmt Netzaktivist Markus Beckedahl, Vorsitzender des Vereins Digitale Gesellschaft und Mitglied der Internet-Enquete des Bundestags, zu. „Wenn es dann zu unterschiedlichen Interpretationen kommt, ist die Frage: Geht das Pendel in Richtung Meinungsfreiheit oder in Richtung Schutz von geistigen Monopolrechten?“, lautet sein Einwand.

Von einem demokratischen Verfahren könne beim ACTA-Abkommen jedenfalls nicht die Rede sein, betont Torben Friedrich. „Kein einziger gewählter Abgeordneter war daran beteiligt.“ Ein Umstand, an dem gerade die Piraten-Partei als Initialzünderin der Protestaktion Anstoß nehme, stehe sie doch zu Grundsätzen von Basisdemokratie und Transparenz.

Deutschland hat ACTA noch nicht unterzeichnet – was aber nach Informationen aus dem Auswärtigen Amt in Kürze nachgeholt werden soll. Zu den 37 Staaten, die das Abkommen vereinbart haben, zählen unter anderem die 27 EU-Mitglieder, die Schweiz, die USA und Japan.

In Polen und Tschechien, seit gestern auch in Lettland, wurde hingegen die Ratifizierung des Vertrags nach heftigen Protesten vorerst ausgesetzt. „Wir dürfen auf keinen Fall zulassen, dass die bürgerlichen Freiheiten und der freie Zugang zu Informationen in irgendeiner Weise bedroht sind“, erklärte der tschechische Ministerpräsident Petr Necas diese Woche.

Solche Bedenken werden in der Bundesregierung nicht geteilt. Aus dem Abkommen lasse sich keine Aufforderung zur Veränderung der geltenden Rechtslage ableiten, in welche Richtung auch immer, betont Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Der auf IT-Recht spezialisierte Fachanwalt Thomas Stadler in Freising stimmt zu: „Wenn man sich den ACTA-Text anschaut, dann findet man dort fast nichts, was nicht in Deutschland ohnehin schon geltendes Recht wäre.“ Die aktuelle Diskussion werde vielfach unsachlich geführt. Dabei gebe es gute Gründe, gegen ACTA zu sein. So werde mit ACTA „eine urheberrechtliche Richtungsentscheidung“ zementiert, „die einseitig die Rechteinhaber begünstigt und wenig Rücksicht auf das Gemeinwohl nimmt“. Nötig sei ein fairer Ausgleich der Interessen. Gemeint ist damit die Vereinbarkeit von privatwirtschaftlichen Interessen und denen der allgemeinen (Internet-)Öffentlichkeit.

Auch die Internet-Enquete-Kommission des Bundestages betont in einem Zwischenbericht, „dass das Urheberrecht an vielen Stellen durchaus einer systematischen Anpassung bedarf, um in der digitalen Gesellschaft einen angemessenen Ordnungsrahmen für immaterielle Güter zu erhalten“. Neben den berechtigten Ansprüchen der Urheber sei auch „das allgemeine Interesse an der Förderung von Kreativität, Innovation und Erkenntnisfortschritt zu berücksichtigen“. Weil die Interessen von Verlags-, Film- und Musikbranche auf der einen Seite und den Internet-Nutzern auf der anderen Seite weit auseinanderklaffen, scheint aber eine Reform des Urheberrechts, die beiden Seiten gerecht werden könnte, in weiter Ferne.

Die ACTA-Lage ist komplex und richtet sich nicht ausschließlich auf den Bereich Internet-Urheberrecht. Europas Grüne, die sich ebenfalls zu den ACTA-Gegnern zählen, bemängeln den Weg beim Schutz von gewerblichen Patenten. „Die Luft von Repression und nicht von neuen, alternativen Wegen“ sei ein fader Beigeschmack.

Die Grünen-Europaabgeordnete und Entwicklungspolitikerin Ska Keller bemängelt den erschwerten Zugang zu Medizin in Entwicklungsländern, den ACTA mit sich bringen würde. „Das Problem bei ACTA ist, dass Generikamedizin ungerechtfertigterweise der Kategorie Produktpiraterie“ zugeordnet wird, wenn zum Beispiel das Etikett dem des Originalprodukts ähnlich ist. „Selbst wenn in der finalen Version von ACTA jeglicher Bezug zu Patenten gestrichen würde, bliebe dieses Problem bestehen“, schreibt sie auf der Internetseite der Europa-Grünen. Damit berge ACTA die Gefahr, „dass der Wettbewerb unterbunden wird und so zu höheren Preisen für Medizin führt“.

Während der CDU-Europa-Abgeordnete Daniel Caspary das Abkommen als einen „Meilenstein im Kampf gegen Marken- und Produktpiraterie“ bezeichnete, wächst in der Nachwuchsorganisation der Christdemokraten ebenfalls Widerstand. „Das Anti-Counterfeiting-Trade-Agreement (ACTA) ist ein Angriff auf die Freiheit im Netz und hat unabsehbare Folgen für den ungehinderten Zugang der Nutzer zu digitalen Informationen. Das intransparente Aushandlungsverfahren des Abkommens lässt zudem Zweifel an der demokratischen Legitimierung aufkommen. „Die Junge Union ruft die Angehörigen des Europäischen Parlaments daher dazu auf, das ACTA-Abkommen in seiner aktuellen Form nicht zu unterzeichnen“, erklärten die stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungen Union, Dorothee Bär, und Bundesvorstandsmitglied Henrik Bröckelmann.

Gestern Abend konnte Torben Friedrich bereits auf die Unterstützung von knapp 3000 Internetnutzern bauen, die über das soziale Netzwerk Facebook ihre Teilnahme an der Protestaktion am Samstag auf dem Opernplatz in Hannover zugesagt haben. Für die Demonstration vor dem Mindener Dom verzeichnete die lokale Aktionsgruppe rund 500 Zusagen. Torben Friedrich ist sich sicher, dass sich bis morgen noch viele weitere Demonstranten mobilisieren lassen. Seiner Einschätzung nach werden das vor allem junge Internetnutzer sein. „Durch das Abkommen sehen viele junge Menschen ihren sozialen Raum schwinden“, meint Friedrich.(mit dpa)

Im Internet wächst der Widerstand gegen einen Vertrag, der die Durchsetzung des Urheberrechts international verankern soll. Das sogenannte ACTA-Abkommen soll Unternehmen vor Markenpiraterie und Raubkopien schützen. Für diesen Samstag sind Massenproteste in über 50 deutschen Städten angekündigt. Auch im Weserbergland wird der Protest organisiert.