Liebe Verkehrspolizisten,
der Frühling ist eingekehrt. Die Grünstreifen geben sich Mühe in ihrer spärlichen Bepflanzung zu blühen, die Kleidung der Passanten wird leichter und ihr müsst in all diesem Chaos euren schweren Job begehen. Als wir uns letzte Woche auf meinem Heimweg von der Arbeit trafen, kamen Realitäten aufeinander, die ich so nicht erwartet hätte.
Über Zeitvertreib und andere Verkehrsdelikte
Als ich klein war, habe ich mir viele verschiedene Spiele ausgedacht, die ich auf langen Autofahrten spielen konnte, um mir die Zeit zu vertreiben. Wenn die vier AA-Batterien des GameBoy alle waren, musste ich schließlich beschäftigt werden.
Zum Beispiel hatte ich ein Buch, in dem ich die Kennzeichenherkunft der an uns vorbeifahrenden Autos erraten konnte. Von Augsburg (A) über Ilm-Kreis (ARN), bis hin zu Duderstadt (DUD) oder Quedlinburg (QLB) und Wittstock/Dosse (WK): Ich kannte sie alle.
Schutzplanken dienten mir als eine Art Laufbahn für einen imaginären pixeligen Protagonisten der ein bisschen wie eine Mischung aus Megaman und Sonic ausgesehen hatte und immer einen sehr weiten Sprung zurücklegen musste, wenn sie plötzlich im Boden verschwand und erst nach einiger Zeit wieder auftauchte.
Waren nur Leitpfosten am Straßenrand, flog ein wohl aus dem Spiel „Star Fox“ inspirierter Arwing an ihnen vorbei, über sie rüber oder sammelte Punkte, indem er ihre orangenen oder weißen Reflektoren zerschoss.
Einige Spiele waren ganz klar meiner eigenen Phantasie entsprungen, andere dachte ich wären sowas wie ein allgemein bekanntes Phänomenen. Zum Beispiel den Luftwiderstand zu nutzen, um mit der eigenen Hand fliegen zu können. Sie diente bei mir neben des unbeschreiblichen Gefühls der Leichtigkeit auch als Sprungplattform für den oben genannten „Megasonic“ oder als Arwing-Ersatz. Das ihr mich wegen meiner fliegenden Hand in der letzten Woche aber aus dem Verkehr zieht, hat mich dann doch überrascht.
Ihr kanntet das Spiel nicht. Ihr dachtet als ihr an mir vorbeigefahren seid, ich hätte euch einen verbotenen nationalsozialistischen Gruß entgegengebracht. Euch zu erklären, dass ich mir durchaus bewusst bin, dass das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verboten ist und ich lediglich das warme Wetter, den Fahrtwind und die Musik aus dem Radio genossen hätte, war schon sehr kafkaesk.
Ich dachte im Verkehrsdienst wird man öfter mit sowas konfrontiert und würde darin nicht eine Verletzung der persönlichen Ehre sehen oder gar einen Aufstand gegen das vorherrschende System. Ich bin euch sehr dankbar, dass ihr kulant gewesen seid und mir geglaubt habt, dass ich nur im Frühlingsmodus gewesen bin, dauerte dies auch einen kurzen Moment und eine Erklärung meines Verhaltens. Ich verschwieg euch bewusst meine oben dargelegte Phantasie um eventuelle Verzögerungen durch Alkohltests zu vermeiden und blieb bei der physikalischen Beschreibung des genutzten Phänomenen, doch irgendwie bleibt ohne das Festhalten der Geschichte ein fader Beigeschmack.
Welche Kindheit habt ihr durchgemacht, solche Spielereien nicht zu kennen? Und wie sieht der heutige Alltag bei der Verkehrspolizei aus, wenn man keine Kinder oder Erwachsene mehr sieht, die den Arm aus dem Autofenster halten um den warmen Luftzug zu genießen, der leicht die Hand abheben lässt?
Ich bin euch wirklich dankbar für den Einblick den ihr beide mir in eure Lebensrealität gegeben habt und hoffe unsere Begegnung hat euch genauso amüsiert wie mich. Ich wusste bisher nicht wie ich damit umgehen sollte, doch ich finde sowas gehört aufgeschrieben. Ich hoffe ihr tragt genauso wie ich unsere kleine Geschichte die wir zu Dritt erlebt haben in die Welt. Ich hoffe ihr habt Kinder und bringt ihnen die für euch neuen Möglichkeiten der Fahrtzeit-Überbrückung abseits von Smartphones bei.
Oder vielleicht sehe ich ja bald auch mal den ein oder anderen Verkehrspolizisten, der seine Hand aus dem Dienstwagen hält und einfach mal das Wetter und das Leben abseits der Straße genießt.